Histaminose, Histaminunverträglichkeit
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Begriffsdefinitionen Histaminerkrankungen
Wer auf Histaminhaltiges reagiert oder eine Histaminsymptomatik zeigt, muss nicht unbedingt eine Histamin-Intoleranz haben! Im Histaminstoffwechsel sind viele verschiedene Störungen bekannt oder theoretisch denkbar. Mehrere verschiedene Mechanismen – körperliche Ursachen wie auch äussere Einflüsse – werden als mögliche Krankheitsursachen diskutiert; über andere weiss man noch zu wenig. Die wichtigsten stellen wir auf den nachfolgenden Unterseiten genauer vor. Nicht alles, was wir auf dieser Website beschreiben, fällt unter die Definition "Histamin-Intoleranz"!
In unten stehendem Schema sehen Sie unseren Vorschlag, wie man die vielen Begriffe rund um histaminvermittelte Erkrankungen systematisch gliedern kann, welche Ursachen man ihnen zuordnen kann, wie man Histaminose definieren kann und wo man die Histamin-Intoleranz einordnen könnte.
Das oben stehende Schema zeigt, in welcher systematischen Beziehung die einzelnen Begriffe zueinander stehen und welche Mechanismen zu einer Histaminose führen könnten.
Glossar
Die Definitionen der einzelnen Begriffe finden Sie auf folgender Seite:
Auf dieser Website orientieren wir uns an den in unserem Glossar aufgeführten Definitionen. Wenn Sie mit Ihrem Arzt oder jemand anderem sprechen, gehen Sie aber bitte nicht davon aus, dass Ihrem Gegenüber diese Definitionen bekannt sind. Versichern Sie sich durch genaues Nachfragen bzw. Erklären, dass beide Gesprächspartner unter den verwendeten Begriffen das gleiche verstehen. Sonst redet man aneinander vorbei. Von anderen Personen bzw. in anderen Texten werden oft z.B. die Begriffe Histaminose, Histamin-Unverträglichkeit, Histamin-Intoleranz, Histamin-Abbaustörung und DAO-Abbaustörung als synonym (gleichbedeutend) betrachtet, bzw. man kennt sich nicht gut genug aus, um die Unterschiede verstehen zu können.
SIGHI-Definition der Histaminose
Die Endung -ose bedeutet in der Medizin eine Zustandsänderung. Die Histaminose ist folglich irgendeine Veränderung, die das Histamin betrifft.
Definition: Als Histaminose bezeichnen wir den Zustand eines im Körper so weit vom Idealbereich abweichenden Histaminstatus (lokal oder systemisch), dass das Wohlbefinden oder körperliche / geistige Funktionen über das normale Mass hinaus beeinträchtigt werden und eine therapeutische Intervention erfordern. [Vorschlag SIGHI]
Vorsicht: Historisch bedingt wurden die Begriffe Histaminose und Histamin-Intoleranz (=enzymatische Histamin-Abbaustörung) bisher meistens nicht voneinander unterschieden, sondern gleichbedeutend (synonym) verwendet! Ursprünglich ging man davon aus, dass Histaminprobleme durch eine Abbaustörung des Enzyms Diaminoxidase (DAO) verursacht werden. Deshalb wurde zuerst die Bezeichnung "Histaminintoleranz" geprägt, in Anlehnung an den Begriff der Laktoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit infolge eines Mangels an spaltendem Enzym, der Laktase). Später mehrten sich die Hinweise, dass weitere Ursachen für Histaminprobleme existieren müssen. Da sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis die genauen Ursachen meist unklar sind und die Bedeutung von Abbaustörungen umstritten ist, wird vorgeschlagen, die Bezeichnung Histaminunverträglichkeit zu bevorzugen. [Reese et al. 2012, S. 26]
Missverhältnis zwischen Zufuhr und Abbau
Durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, wird Histamin einerseits aus körpereigenen Speichern freigesetzt und andererseits über die Nahrung zugeführt. Der Körper eines Gesunden ist dazu befähigt, dieses Histamin schnell genug abzubauen, so dass dies im Normalfall nicht zu Problemen führt. Übersteigt nun - aus welchen Gründen auch immer - die Summe aller Histaminquellen die Fähigkeit des Körpers, Histamin abzubauen, dann steigt der Histaminspiegel zu stark an. Wenn die individuelle Toleranzschwelle überschritten wird, kommt es zu einer breiten Palette von "Vergiftungssymptomen". Histamin ist nun aber nicht irgendein Gift, sondern ein körpereigener Botenstoff mit zahlreichen Funktionen. In einem mit Histamin überschwemmten Körper ist die Regulation dieser Vorgänge gestört.
Symbolbild: Man kann sich den Histaminspiegel bildlich wie einen Trichter vorstellen, in den aus mehreren Leitungen Histamin hinein fliesst. Wenn mehr hinein fliesst, als unten abfliessen kann, dann steigt der Flüssigkeitsspiegel an. Sobald der Trichter über läuft, gibt es eine "Überschwemmung", die Schaden anrichten kann. Das passiert logischerweise nicht nur dann, wenn oben zu viel hinein geschüttet wird, sondern auch, wenn unten der Abfluss zu eng oder verstopft ist. Das Umgekehrte soll auch vorkommen: Wenn das Loch des Trichters viel zu gross ist im Verhältnis zu dem, was oben hinein kommt, dann ist gar nie genug Histamin im Trichter, das dort seine wichtigen Funktionen erfüllen könnte.
Histadelie, Histapenie
Die oben stehende Definition der Histaminose beinhaltet eigentlich Änderungen des Histaminstatus in beide Richtungen: zu viel oder zu wenig. Auf dieser Website befassen wir uns aber hauptsächlich mit zu hohen Histaminwerten und meinen deshalb mit "Histaminose" in der Regel einen Histaminüberschuss. In der orthomolekularen Medizin bzw. in der orthomolekularen Psychiatrie unterscheidet man je nach dem, in welche Richtung sich die Histaminmenge ändert, zwischen Histadelie (zu hoher Histaminspiegel) und Histapenie (zu tiefer Histaminspiegel). Die Histadelie und Histapenie nach Dr. med. Carl C. Pfeiffer sind aber - wie die gesamte orthomolekulare Medizin - zwar teils einleuchtende, aber wissenschaftlich nicht belegte Krankheitskonzepte, die in der Schulmedizin auf Ablehnung stossen und in die Alternativmedizin verbannt werden. Wir gehen hier deshalb nicht weiter darauf ein.
Definitionen der Histamin-Intoleranz (HIT)
Der Begriff "Intoleranz" kommt aus dem Lateinischen: intolerantia, von tolerare = "ertragen", "aushalten", mit negierender Vorsilbe "in-".
Man stösst auf unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Histamin-Intoleranz definiert werden soll:
A) Funktionsminderung der DAO
HIT im engsten Sinne wird definiert als eine erworbene oder angeborene Aktivitätsminderung des Enzyms Diaminoxidase (DAO), was einen verlangsamten Abbau von Histamin und anderen biogenen Aminen zur Folge hat. Die Diaminoxidase (DAO) ist dasjenige Histamin abbauende Enzym, welches vorwiegend in der Darmschleimhaut, aber auch in den meisten anderen Organen und Geweben gebildet wird. Deshalb liegt die Vermutung auf der Hand, dass es eine wichtige Rolle beim Abbau von Histamin aus der Nahrung und von der Darmflora spielt. Bei zu wenig DAO-Aktivität toleriert der Körper die histaminhaltigen Lebensmittel nicht mehr. Vor allem die enterale (=den Darm betreffende) Histaminose könnte folglich überwiegend durch eine verminderte Abbaukapazität der DAO verursacht sein.
B) Enzymatische Histamin-Abbaustörung
Etwas weiter gefasst kann HIT eine Störung an irgendeiner Stelle der verschiedenen enzymatischen Abbauwege von Histamin und anderen biogenen Aminen sein (Enzymopathie, Enzymmangel, Enzymdefekt) [Reese et al. 2012b]. In [Reese et al. 2012] wird empfohlen, nur nachweislich enzymatisch bedingte Histaminabbaustörungen als Histamin-Intoleranz zu bezeichnen (in Anlehnung an die Laktose- und Fruktose-Intoleranz, welche ebenfalls durch Enzymmangel bzw. mangelnde Enzymaktivität bedingt sind). Bei allen anderen "Histaminproblemen" oder bei unbekannter Ursache solle man hingegen besser den Begriff Histamin-Unverträglichkeit verwenden. Definition B macht keine Aussage darüber, welches der abbauenden Enzyme betroffen ist.
C) Ungleichgewicht im Histaminstoffwechsel
Als HIT im weitesten Sinne kann jegliches zu einem erhöhten Histaminspiegel oder einer verstärkten Histaminwirkung führende Ungleichgewicht im Histaminstoffwechsel verstanden werden. Sowohl eine erhöhte Zufuhr (Nahrung, Darmflora, Freisetzung von körpereigenem Histamin), eine erhöhte Freisetzung von körpereigenem Histamin, eine Verminderung der Abbaugeschwindigkeit (Enzymhemmung, Enzymdefekt, Enzymmangel) oder auch eine Veränderung der Histaminrezeptordichte oder der Rezeptorempfindlichkeit können Ursachen einer histaminvermittelten Symptomatik sein. Diese sehr weit gefasste Definition würde jedoch auch Mastzellerkrankungen und andere eigenständige Krankheiten umfassen, die sich von enzymatischen Histamin-Abbaustörungen abgrenzen lassen. Siehe auch → Histaminose.
Wir empfehlen, grundsätzlich Definition B (enzymatisch bedingte Histamin-Abbaustörung) zu verwenden. Allerdings ist noch genauer zu klären, welches der Histamin abbauenden Enzyme bei einer Beeinträchtigung überhaupt Krankheitsrelevanz erreichen kann. Vermutlich trifft dies vor allem auf die DAO zu, so dass faktisch womöglich kein grosser Unterschied zwischen Definition A und Definition B besteht.
Abkürzungen für Histamin-Intoleranz
Gebräuchliche Abkürzungen für die Histamin-Intoleranz sind HIT oder selten auch HI (für Histamin-Intoleranz). Vorgeschlagen wurde auch BAI (Intoleranz gegenüber biogenen Aminen, engl.: biogenic amines intolerance). Welcher dieser Abkürzungen soll man den Vorzug geben? Analog zu LI für Laktose- und FI für Fruktose-Intoleranz würde sich hier eigentlich die Zweibuchstaben-Abkürzung HI aufdrängen. Allerdings besteht die Gefahr der Verwechslung mit der Krankheit, welche durch das HI-Virus (HIV) übertragen wird. Die Abkürzung HIT ist ebenfalls bereits anderweitig belegt, denn sie steht auch für Heparininduzierte Thrombozytopenie oder für hochintensives Training. Die Abkürzung BAI ist eigentlich am treffendsten, denn bei einer Histamin-Intoleranz ist es nicht das Histamin allein, welches Probleme macht, sondern eine Vielzahl verschiedener biogener Amine, von welchen das Histamin einfach das bedeutendste ist. BAI wird aber als Abkürzung noch kaum verwendet. Wir bleiben daher beim gebräuchlichen HIT.
Klassifikation der Histamin-Intoleranz
Die HIT ist derzeit nicht explizit im medizinischen Klassifikationssystem nach ICD-10 aufgeführt. Hier dennoch einige Vorschläge, wie die HIT bei der Diagnose klassifiziert werden könnte:
"T78.1, Sonstige Nahrungsmittelunverträglichkeit, anderenorts nicht klassifiziert"
Oder man beschränkt sich auf einzelne Symptome der Histaminose. Beispielsweise G44.0 "Cluster-Kopfschmerz" ("Histamin-Kopfschmerzen").
Bei T61 "Toxische Wirkung schädlicher Substanzen, die mit essbaren Meerestieren aufgenommen wurden" gibt es den Unterpunkt T61.1 "Scombroid-Fischvergiftung, Histamin-ähnliches Syndrom".
Weitere Möglichkeiten, die aber ebenfalls nicht treffend sind:
E88.9 Stoffwechselstörung, nicht näher bezeichnet
K58.0 Reizdarmsyndrom mit Diarrhoe
K59.1 Funktionelle Diarrhoe
K59.9 Funktionelle Darmstörung, nicht näher bezeichnet
K90.8 Sonstige intestinale Malabsorption
K90.9 Intestinale Malabsorption, nicht näher bezeichnet
T62.8 Sonstige näher bezeichnete schädliche Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wurden
T62.9 Schädliche Substanz, die mit der Nahrung aufgenommen wurde, nicht näher bezeichnet
Z13.2 Spezielle Verfahren zur Untersuchung auf Ernährungsstörungen
Unterseiten mit Hintergrundinformationen
Um sich mit den medizinischen / biologischen / biochemischen Hintergründen vertraut zu machen, lesen Sie am besten die nachfolgenden Unterseiten der Reihe nach durch:
Um die möglichen Störungen im Histaminstoffwechsel verstehen zu können, ist es notwendig, zuerst einmal den normalen Histaminstoffwechsel beim gesunden Menschen zu kennen:
Histaminose > Histaminstoffwechsel
Hier können Sie sich einen Überblick verschaffen, welche möglichen Störungen im Histaminstoffwechsel man kennt oder vermutet:
Histaminose > Ursachen-Überblick
Anschliessend werden die wichtigsten Krankheitsmechanismen im Detail vorgestellt:
Abbaustörungen:
Freisetzungsstörungen:- Die wahrscheinlich häufigste und damit wichtigste Störung im Histaminstoffwechsel, die Mastzellaktivierung (keine Abbaustörung, sondern übermässige Freisetzung von körpereigenem Histamin), wird auf einer separaten Website beschrieben:
www.mastzellaktivierung.info
- Die wahrscheinlich häufigste und damit wichtigste Störung im Histaminstoffwechsel, die Mastzellaktivierung (keine Abbaustörung, sondern übermässige Freisetzung von körpereigenem Histamin), wird auf einer separaten Website beschrieben:
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Histaminose > Histaminstoffwechsel
Quellenangaben
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Jarisch 2004 | Jarisch, Reinhart: "Histamin-Intoleranz, Histamin-Intoleranz und Seekrankheit", Thieme-Verlag, 2. Auflage, 2004. ISBN 3-13-105382-8 |
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Reese et al. 2012 | Imke Reese, Barbara Ballmer-Weber, Kirsten Beyer, Stephan Erdmann, Thomas Fuchs, Jörg Kleinetebbe, Ludger Klimek, Ute Lepp, Margot Henzgen, Bodo Niggemann, Joachim Saloga, Christiane Schäfer, Thomas Werfel, Torsten Zuberbier, Margitta Worm: "Vorgehen bei Verdacht auf Unverträglichkeit gegenüber oral aufgenommenem Histamin. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) und des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA)". AWMF 2012 http://dgaki.de/wp-content/uploads/2010/05/Leitlinie_Histaminunverträglichkeit2012.pdf (177 kb). http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-030l_S1_Histaminunverträglichkeit_2012.pdf (177 kb). (Leitlinie zur Diagnose des oralen Histaminsyndroms. Konsensusdokument.) |
Reese et al. 2012b | Imke Reese: "[Diagnostic and therapeutic procedure for two popular but quite distinct adverse reactions to food - fructose malabsorption and histamine intolerance]". Ther Umsch. 2012 Apr;69(4):231-7. doi: 10.1024/0040-5930/a000279. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22477662 ("the term adverse reaction to ingested histamine is preferred, because histamine intolerance implies that symptoms are caused entirely by an enzyme defect.") |